»Wo Punkt ist, soll Fragezeichen werden!«
– Manfred Hinrich
Inhalt
ÄH, WIE JETZT?
Manch einer mag sich bei der Lektüre meines letzten Beitrags vielleicht ein wenig gewundert haben. Und vielleicht bin ich sogar die Antwort auf die Frage, was uns der Autor damit wohl sagen möchte, in den Augen vieler Leser schuldig geblieben.
Das hole ich jetzt nach.
Meine erste digitale Spiegelreflex-Ausrüstung dürfte vielen von Euch bekannt vorkommen: Eine Kamera und ein Objektiv mit einer Brennweite von 18 bis 55 Milimetern. Dieser Optik-Klassiker wird auch heute noch vielen Kameras beigelegt.
Was jedoch viele nicht wissen: Dieses Objektiv ist für den Einstieg eigentlich gänzlich ungeeignet, sofern man denn tolle Fotos erwartet. Geübte Fotografen können natürlich auch aus solchen Linsen fantastische Ergebnisse zaubern, aber der Einsteiger wird sich wohl eher darüber wundern, was alles nicht machbar ist.
Mittlerweile sind besonders bei Einsteigern auch Objektive mit erheblich mehr Zoom sehr beliebt. Die Klassiker sind hier 18–200 mm und größer. Diese Linsen sind für den Einstieg Segen und Fluch zugleich.
Einerseits ist es natürlich reizvoll, mit nur einem Objektiv Landschaften und Gebäude, Menschen, Produkte, Stillleben, Veranstaltungen und Tiere fotografieren zu können. Andererseits fehlt diesen Objektiven ein entscheidendes Gestaltungsmittel.
Lichtstärke.
BLENDE(ND)
Zur Sicherheit hier schnell zusammengefasst die Basics zur Blende: Sie bestimmt die Lichtmenge, die bei der Aufnahme durch das Objektiv zum Sensor der Kamera durchdringt und dosiert die Schärfe in der Tiefe des Bildes.
Angegeben wird sie meistens mit der Formelbezeichnung f (z. B. f/1.4) oder mit einem Verhältniswert (z. B. 1:1.4).
Für die Physiker und Mathematiker: Die Blendenzahl ist der Kehrwert des Verhältnisses zwischen der wirksamen Öffnung und der Brennweite.
Nicht weglaufen bitte. Ich versuche, verständlich zu bleiben.
In der Fotografie wird mit sogenannten Lichtwerten (abgekürzt EV für exposure value) gearbeitet. Die Differenz eines Lichtwertes – z. B. in den Halbautomatiken oder der Programmautomatik Deiner Kamera mit der Belichtungskorrektur dosierbar – entspricht exakt der Differenz einer Blendenstufe in der Blendenreihe. Okay, so richtig verständlich ist das auch nicht. Probieren wir das mal anders.
Eine Blendenreihe sieht wie folgt aus:
1, 1.4, 2, 2.8, 4, 5.6, 8, 11, 16, 22,… – diese Zahlen sollten Dir bekannt vorkommen. Jeder Schritt innerhalb dieser Reihe entspricht einer Verdoppelung oder Halbierung der Lichtmenge.
Das bedeutet, wenn Du statt mit Blende f/4 mit Blende f/2.8 fotografierst, lässt Du exakt die doppelte Lichtmenge durch das Objektiv, denn die Blendenöffnung wird größer. Blendest Du hingegen von Blende f/4 auf Blende f/5.6 ab, halbierst Du die Lichtmenge, die durch Dein Objektiv fällt. Heftig, oder?
DER FLUCH DES SUPERZOOMS
Die Flexibilität eines günstigen Objektivs mit Zoom muss leider mit erheblicher Lichteinbuße bezahlt werden. Auf diesen Objektiven finden wir (fast) immer die Angabe 1:3.5–5.6.
Nehmen wir als Beispiel das klassische Objektiv mit einer Brennweite von 18 bis 55 Milimetern. Bei der kleinsten Brennweite von 18 Milimetern können wir die Blende auf f/3.5 öffnen. Wenn wir jedoch auf 55 Milimeter hinaus zoomen steht uns nur noch die maximale Blendenöffnung f/5.6 zur Verfügung.
Bei Objektiven mit deutlich mehr Zoom lässt sich die Blende bei hohen Brennweiten in den meisten Fällen sogar nur noch bis f/6.3 öffnen.
DIE FESTBRENNWEITE
Wer erstmal herausgefunden hat, welches Foto-Thema besonders reizvoll ist, tut gut daran, in eine passende Festbrennweite (zu Deutsch: vom Zoom befreites Objektiv) zu investieren. Diese Objektive zwingen zwar dazu, sich für jedes Foto zu bewegen, belohnen aber mit erheblich größerer Lichtausbeute.
Schauen wir uns mal zwei Objektive im Vergleich an: Das 18–55 mm f/3.5–5.6 und das 50 mm f/1.4. Bei 50 mm Brennweite lässt das Zoomobjektiv nur die Blendenöffnung f/5.6 zu. Wenn wir im Gegensatz dazu die Festbrennweite bei Blende f/1.4 verwenden, fangen wir die 16-fache Lichtmenge ein.
Wir erinnern uns an die Blendenreihe: Von f/5.6 auf f/4 entspricht der doppelten Lichtmenge. Das wird wieder verdoppelt bei Blende f/2.8 und wieder verdoppelt bei f/2 und wieder verdoppelt bei f/1.4 (da wird einem ja schwindelig bei so viel Licht).
UND WAS MACHT JETZT SÜCHTIG?
Ich denke, die wenigsten Einsteiger nehmen spontan 400 Euro oder (viel) mehr in die Hand, um ein Objektiv mit Blende f/1.4 (oder größer) zu kaufen. Zum Glück gibt es eine günstige Alternative: Das 50 mm f/1.8.
Hier bekommt man viel Licht für wenige Euros. Ein sehr geiles Glas hat Pentax im Portfolio, deren Fuffzigeinsachter für Pentax-Bodies mit APS-C Sensoren rangiert stets um die 100 Euro. Ähnlich verhält es sich mit dem Pendant von Canon, das auch bei Videoaufnahmen eine richtig gute Figur macht. Nikon hat selbstverständlich auch ein exzellentes Glas am Markt, und Sony liefert sowohl für A-Mount als auch für E-Mount die passenden Linsen.
Fotografen mit einer Systemkamera von Panasonic oder Olympus kommen natürlich auch nicht zu kurz. Der lichtstarke Einstieg bietet sich bei Olympus mit einem 45 mm f/1.8 an, Panasonic begeistert mit einem sehr günstigen 25 mm Objektiv, das sich bis Blende f/1.7 öffnen lässt. Sehr praktisch: Diese beiden Hersteller setzen auf das gleiche Bajonett-System, Objektive von Panasonic können somit wunderbar an einer Kamera von Olympus verwendet werden. Umgekehrt funktioniert das dann logischerweise genau so gut.
Der Clou dieser Objektive ist jedoch in vielen Fällen nicht einmal die Tatsache, dass viel mehr Licht eingefangen werden kann, sondern dass diese Blendenöffnungen ein bewusstes Spiel mit der Schärfentiefe erlauben.
Nicht jedes Foto ist schön, wenn alles im Bild knackscharf ist. Beim klassischen Porträt dürfen Vorder- und Hintergrund gerne in der Unschärfe verschwimmen. Der Blick des Betrachters wird somit ganz automatisch nur auf die Person gelenkt.
Und genau das ist der Grund, warum so gut wie niemand, der einmal in den Genuss eines Objektivs mit großer Blendenöffnung kommt, jemals wieder ohne so eine Linse fotografieren möchte. Der kreative Kniff, den Hintergrund in der Bedeutungslosigkeit verschwimmen zu lassen und das eigentliche Motiv freizustellen (so beschreibt man diesen Effekt), ist einfach immer wieder eindrucksvoll.
Allerdings: Nicht jedes Foto ist künstlerisch wertvoll, nur weil es bei offener Blende fotografiert wurde. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Fotos in Schwarzweiss.
ZUSAMMENGEFASST
Die Geschichte, die ich im letzten Beitrag erzählt habe, ist einfach ein Klassiker, den ich im meiner Zeit hinter einem Foto Erhardt Tresen unzählige Male erlebt habe. Die Kurzfassung: Mensch sieht tolle Fotos, Mensch kauft Kamera mit Objektiv für alles, Mensch ist mit Fotos unzufrieden, Mensch hat das erste Mal ein 50er drauf, Mensch ist begeistert.
Ich habe in meiner Zeit im Verkauf bei fast jeder Beratung versucht, auf diesen Unterschied aufmerksam zu machen, habe meine Kunden vergleichende Bilder fotografieren lassen, aber die wenigsten haben in dem Moment den Unterschied realisiert. Das lag auch ganz klar an den kleinen Kamera-Displays. Aber vielen Kunden war die Kamera viel wichtiger als das Glas.
Dabei spielen die Objektive die entschieden größere Rolle.
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16 Kommentare zu "Die 50er Droge – Ein Nachwort"
Kommentarfunktion ist geschlossen.
Sehr interessant. Lese sonst überhaupt nicht gerne aber deine Texte muss ich einfach lesen wenn ich den Anfang lese ??
Vielen Dank! Wenn das mal kein Ritterschlag ist, dann weiß ich’s auch nicht. 🙂
Ich lese längere Beiträge eigentlich auch nicht so gerne.. aber diese hier sind so super geschrieben das man stundenlang weiterlesen könnte.. weil es so locker und verständlich geschrieben ist 🙂 sehr schön
Danke Dir, Isabell. ☺️ Ich gelobe, auch weiterhin dröges Technikgeschwurbel anderen Plattformen zu überlassen. Hier wird’s im derzeitigen Stil weitergehen. ?
Lieber Stefan!
Du bist ein Dealer! Erst gestern bei dir im Workshop gewesen und bereits heute habe ich mich mehrere Male über mein 18-105mm geärgert, weil ich bei noch gefühlt guten Lichtverhältnissen die ISO unglaublich weit hochdrehen musste. Und das bei f/3.6, der größten Blendenöffnung.
Ich möchte das Objektiv von gestern wieder haben!
Einmal angefixt und schon süchtig!
Danke nochmal für den phänomenalen Workshop!!!
Moin Lars,
tut mir leid? Nee, eher nicht. 😉 Das ist halt wie mit Hubraum oder Arbeitsspeicher: Lichtstärke ist durch nichts zu ersetzen außer mehr Lichtstärke. Die „doofe kleine Blendenzahl“ hat’s halt in sich.
Ich freue mich in jedem Fall sehr, dass a) Dir der Workshop gefallen hat und b) das Thema Blende definitiv hängen geblieben ist. Und sieh’s positiv: Bei Tageslicht ist auch so ein 18-105 mm… äh… gar nicht so schlecht.
Und letzten Endes gibt es deutlich teurere „Drogen“ am Markt als so ein 50 mm f/1.8 (von dem mir bisher auch keine negativen Nebenwirkungen bekannt sind). 😉
Dieser „Aha-Effekt“ existiert natürlich wirklich. Aber ich würde nicht alles so stehen lassen. Die Auswahl der Brennweite und Lichtstärke korrespondiert doch stark mit dem verwendeten Sensor. Während mir mein 50/1.4 (zufällig wie oben abgebildet ein smc M 50/1.4) an Kleinbild unersätzlich war, fristet es seit Einzug der digitalen APS-C doch ein Schattendasein. Durch den Cropfaktor ist es einfach zu lang! Dieser „natürliche Blickwinkel“, den dieses Normalobjektiv an KB erreicht, ist an APS-C nämlich einfach weg.
Insofern ist der Hinweis auf etwa das 45/1.8 an mFT gar nicht mehr wirklich zielführend, ergibt es doch eigentlich eine klassische Portraitbrennweite bei Cropfaktor 2. Außerdem ist die Wirkung der Blende 1.8 an mFT doch verglichen mit KB hinsichtlich der Freistellung eher mau.
Also sollte der Tipp eher so aussehen: 50/1.8 an KB, 35/1.4 an APS-C, 25/1.0 an mFT – wobei ich weder sicher bin, ob die Schärfentiefe so wirklich vergleichbar ist, noch ob entsprechende Objektive überhaupt existieren.
Moin Uwe,
grundsätzlich hast Du natürlich Recht, die Vergleichbarkeit der Brennweite ist mit meinen Beispielen nicht mehr gegeben. Allerdings zielt mein Beitrag auch nicht auf den korrekten Bildausschnitt – oder um es aufzugreifen: den „natürlichen Blickwinkel“ – einer Normalbrennweite ab, sondern beschreibt die Möglichkeit, Motive mit geringer Schärfentiefe mit „bezahlbaren Objektiven“ freizustellen.
Das erklärt auch die Erwähnung des „45ers“ an der Olympus. Dank der längeren Brennweite ist trotz des Cropfaktors eine Freistellung problemlos möglich.
Meiner Erfahrung nach wird das gestalterische Element des Brennweiten-bedingten Blickwinkels für manche Foto-Amateure erst nach Jahren, für andere sogar nie so richtig relevant. Man schaue sich an, wie viele Nutzer mit Zoom-Objektiven fotografieren, und wie viele dieser Nutzer den Zoom ohne Bewusstsein für die Bildwirkung auf jede x-beliebige Brennweite drehen, bevor mal ein Schritt gemacht wird.
Allein für diese Zielgruppe ist das bewusstere Fotografieren mit einem günstigen „Fuffzigeinsachter“ am APS-C Sensor ein gewaltiger Schritt Richtung schönere Fotos. Und genau darum geht es mir.
Hallo Stefan,
passend zu dem schönen Einstiegsfoto der ME Super (sogar noch mit Original Lederriemen!) zu Beginn des Artikels mit dem 50 / 1.4 Objektiv:
Das passt immer noch an das Pentax-K Bajonett der Digitalen und ist für manche Spielerei und Überraschung gut. Ohne irgendwelche Adapter oder Konverter. Das schult die so schön von Dir vorgestellten theoretischen Grundlagen. Ich fotografiere seit über 20 Jahren mit Pentax und kann noch alle Objektive einsetzen. Viel Spaß beim experimentieren…
Guten Tag, Stefan!
An welcher Kamera arbeitet das Nikon AF Nikkor 50mm 1:1,8 D mit Autofokus und an welcher nicht? Besitze die D7000 und die D5300.
Herzlich
Hans Christian
Moin Hans Christian,
die älteren D-Optiken müssen an Kameras der 3000er und 5000er Serien manuell fokussiert werden, da Nikon diesen Kameras keinen Autofokus-Motor spendiert. An einer D7000 funktioniert das 50 mm 1:1.8 D hingegen uneingeschränkt. Damit die Kamera die Blende elektronisch steuern kann, muss der Blendenring bei Blende f/22 fixiert werden.
Einziger Wermutstropfen: Die doch recht betagten D-Objektive sind nicht in der Lage, die recht hohen Auflösungen aktueller Kameras zu bedienen. Das neuere 50 mm 1:1.8 G (die Version mit Motor) macht auch an Kameras mit mehr als 20 Megapixeln eine sehr gute Figur. Da die D7000 mit 16 Megapixeln kein „Auflösungsriese“ ist, dürften durchaus zufriedenstellende Ergebnisse aus der Kombination kommen. Am 24 Megapixel-Sensor der D5300 wird’s im Vergleich mit moderneren Gläsern dann etwas mager.
Liebe Grüße
Stefan
Guten Tag, Stefan!
Danke für die kompetente Auskunft. Der letzte Satz allerdings ist rätselhaft: warum sollten die Ergebnisse an der D5300 „etwas mager“ sein, zumal das Objektiv an Kameras mit mehr als 20 MP „eine sehr gute Figur“ macht, wie Du schreibst.
Herzlich
Hans Christian
Moin Hans Christian,
das D-Objektiv ist an der D5300 nicht der heilige Gral, das G-Objektiv macht die gute Figur. 😉
Letztlich kommt es auf die Bildwirkung an, 50mm bleibt 50mm egal an welche Kamera. Allerdings ändert der Bildausschnitt auch die Bildwirkung. So kann ich mein 50mm f1,7 sowohl an die Vollformat, wie auch an die APS-C schrauben. Bis auf den veränderten Bildausschnitt (Cropfaktor bei APS-C) kann ich vergleichbare Bilder zaubern, dennoch bevorzuge ich an der APSC-C das 35mm, weil da der Bildausschnitt wieder näher am „menschlichem Augen“ hängt. Wenn ich aber mein Motiv gefunden habe, bestimme ich welches Objektiv ich nehme oder wenn möglich, welche Kamera-Objektiv-Kombination. Es gibt Regeln und physikalische Gegebenheiten und es gibt Kreativität. Ich vergleich das gern mit Musizieren, es ist das eine Noten lesen zu können, es ist was gänzlich anderes Noten zu interpretieren oder gar zu improvisieren. Es ist aber von Vorteil kann man alles drei 😉
Dem stimme ich voll und ganz zu, wobei es bei mir umgekehrt war. Ich hatte in den 80ern eine Kamera mit Weitwinkel-, Normal- und kurzer Teleoptik. Dann kamen die Zooms auf den Markt, die ich auch haben wollte weil ja bequem! Inzwischen bin ich zurück bei meinen Festbrennweiten die ein mehrfaches der Kamera kosten. Haben aber große Blendenöffnungen und eine knackige Schärfe. Fast wie Früher… nur alles Digital.
Moin Stefan, dieses Bild ließ meine Augen echt glasig werden. Diese Kamera schenkte mit mein Vater 1980 zur bestanden Prüfung als Techn. Zeichner. In Absprache mit meiner Mutter wurde da ein Teil des Urlaubsgeldes investiert. Das war mit die Beste Anerkennung die ein Kind, aus bescheidenen Verhältnissen, von seinen Eltern bekommen kann. Ich bin immer noch bei Pentax. Inzwischen die K3-II.
Danke auch für diesen wunderbaren Text.
Gruß
Jochen